Dashdemed Sampil
Dashdemed Sampil, 1971 in der Mongolei geboren, ist ein Maler, der in Nürnberg lebt und arbeitet. Nach seinem Bachelor of Fine Arts an der Hochschule der Bildenden Künste in Ulan-Bator setzte er sein Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg fort, wo er Meisterschüler bei Prof. Peter Angermann wurde.
Unbequeme Bilder
Dashdemed Sampil ist ein ruhiger Beobachter in einer chaotischen Welt. Seine Beobachtungen verdanken sich diesem ebenso einfachen, wie starken Gegensatz. Seine Stärke liegt in diesem Gegensatz, und wir können nur staunen, mit welcher Unerschütterlichkeit er seinen erschütternden Beobachtungen standhält.
Das ist das erste, womit sich jeder an Dashdemeds Bildern sofort und unausweichlich konfrontiert sieht: Diese verstörende Mischung aus Dünnhäutigkeit und Grobheit, dieses Ausgeliefertsein an ebenso rätselhafte wie unerbittliche Situationen, voller archaisch anmutender Erinnerung, Verlockung, Drohung, voller barbarisch sexueller Anspielungen. Grobschlächtige Figuren, deren anatomische Abweichungen und Deformationen umso beunruhigender erscheinen, als sie so selbstverständlich und ganz ohne Aufhebens daherkommen.
Was mit dem Schrecken und der Wucht eines Pandämoniums hier heraufbeschworen wird, was manch einem lieber jenseitig erscheinen möchte - und damit harmlos -, es ist, fürchte ich, doch wohl aus dem ganz und gar menschlichen Diesseits gegriffen, aus der ewig rätselhaften Wirklichkeit, ein Blick in den real existierenden Abgrund, der sich keineswegs nur neben denen auf tut, die, wie Dashdemed, seinem Anblick standhalten. Der Mensch ist des Menschen Wolf. Eine erschütternde Feststellung, leidenschaftlich konstatiert, doch ohne jeden ärgerlich sentimentalen Unterton, ohne weinerliche Anklage, erhobenen Zeigefinger, andererseits aber auch ohne billigen Sarkasmus. Und ohne jede Spur zynischer Überheblichkeit. Überhaupt gänzlich unanekdotisch und damit hundertprozentig moralinfrei, in dieser Enthaltsamkeit dann aber umso alarmierender.
Solch eine Sicht zu ertragen ist natürlich nicht jedermanns Sache. Auch viele von Dashdemeds Kommilitonen, welche die überragende Klasse seiner Malerei durchaus wertschätzten, fühlten sich dennoch unbehaglich mit diesen Bildern. Er ist bei all seinem freundlichen und liebenswerten Wesen eben alles andere als ein bequemer Künstler, sondern als solcher ein sensibler Berserker. Die Kraft seiner Bilder provoziert daher außer nahe liegender Bewunderung auch vielfältige Abwehr- und Ausweich-, Hinbiege- und Schönredestrategien, vorzugsweise psychoanalytischer Art: Als ob dadurch die unbehagliche Wirklichkeit aus der Welt zu komplimentieren wäre.
Besser als mit analytischen Attacken und besser als mit anmaßenden Interpretationsversuchen oder der szeneüblichen Graswuchsakustik wird man einem Künstler dieses Kalibers mit handwerklicher Neugier gerecht. Sie haben richtig verstanden: Es darf angesichts echter Könnerschaft wieder selber hingeguckt und nach anschlussfähigen und überprüfbaren Kriterien gefragt werden, wie sie von der gegenwärtigen Kunstkritik eher gemieden werden. Messen Sie diese Bilder ruhig an den alt überlieferten, bewährten und doch fast vergessenen Gesetzen von Komposition, Vortrag, Kolorit usw. Woher nehmen sie ihre unglaubliche Kraft? Abgesehen von der Grundvoraussetzung, der auch bei Dashdemed Sampil unwägbaren, somit still und dankbar hinzunehmenden Inspiration - was macht in guter traditioneller und formaler Hinsicht diese Bilder so bärenstark?
Nach der richtigen Wahl der Mittel - seinem weiteren Vorgehen entsprechend sind das derbe Leinwände, pastose Ölfarben, breite Borstenpinsel - baut Dashdemed Sampil seine urtümlichen Figuren in spannungsvollen Bildräumen zusammen. Der bereits angesprochene weitgehende Verzicht auf anekdotische Elemente und oberflächliche Eleganz, wozu bei ihm auch jede strengere realistische Darstellung zählt, befreit seine Geste und macht ihr suggestives Potential wirksam. Mit Pinselgesten von magischer Eindringlichkeit werden die Gestalten heraufbeschworen. Sie werden nicht einfach gezeigt, sie treten aktiv in Erscheinung, bewusst und mit Entschiedenheit, hier und jetzt, mitten vor unsere Augen, oft frontal, wenn nicht symmetrisch, in zwingend schlüssigen Kompositionen. Solange werden die Bilder wieder und wieder hergenommen, bis sie formal "auf gehen". Kein Quadratzentimeter Ermattung ist auf diesen meist großen Formaten zu finden, alles ist bündig in die Gesamtwirkung eingespannt, ohne dass an irgendeiner Stelle Zuflucht in kleinliche Trickserei vonnöten gewesen wäre.
Im Einzelnen zeigt seine Gestik eine erstaunliche Dynamik, von kraftvollen, impulsiven Pinselhieben, trägen Schleifspuren, bis zu einer höchst abwägenden, behutsamen schürfend graffitihaften Handschrift, als würde die Farbe eher irgendwo herausgekratzt als aufgetragen. Einem breiten Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten sehen wir uns hier gegenüber, das sicher und gelassen gehandhabt und konzentriert eingesetzt ist. Den komplexesten Aspekt dieser Malerei aber bildet ihre aufwühlende Farbigkeit. Aus einer urtümlich und fremdartig anmutenden Intimität, mehr einer höhlenartigen Innenwelt als dem hellen Tageslicht entstammend, speist sich dieses unglaublich reichhaltige Kolorit. Wie im Inneren eines Meilers baut sich eine Glut auf, unter bräunlich warmen Schichten, schimmert durch Risse, bricht sich in dramatischen Eruptionen Bahn, erkaltet und erstarrt wie Magma an der Oberfläche, auch dort die schillernden, fahlen, kalten Spuren seiner Alchimie hinterlassend. Dashdemed Sampil arbeitet natürlich mit dem gleichen Material wie wir alle, doch angesichts seiner Bilder will man kaum glauben, dass solch ein Farbenreichtum, solch eine Fülle überraschender farbiger Wechselwirkungen, nicht den Rahmen jeder der gängigen Farbsystematiken sprengte.
Hält man Ausschau nach verwandten Malern, nach vergleichbaren künstlerischen Positionen, wird schnell klar, dass wir es hier mit einem Solitär zu tun haben. Am ehesten in der Umgebung der Expressionisten könnte man sich vorstellen, fündig zu werden, bevor man sogleich feststellt, wie typisch europäisch diese doch plötzlich wirken. Andererseits, ohne den westlichen Einfluss wäre auch Dashdemeds Malerei in dieser Form undenkbar.
Doch so ungewöhnlich sein Blickwinkel sein mag, der wahre Trumpf seiner Malerei liegt darin, wie innig er uns an seinem Wahrnehmungsprozess teilhaben lässt. In dieser nicht ganz einfachen Welt der größeren und kleineren Krisen organisiert sich ruhig und konzentriert der Blick, das Bild, und man fühlt und ist dabei, wie die Gestalt sich ins Dasein kämpft. Als Betrachter solchermaßen aktiv am Schaffensprozess beteiligt zu sein, an der Bildorganisation, an der Entfaltung der Vision, am Schauen und Gestalten eines anderen Menschen, das und nichts anderes macht echte Malerei aus.
Text von Peter Angermann aus dem Katalog: Dashdemed Sampil, 2011